Sonntag, 30. September 2012

Abenteuer Anhalten

Die Party gestern war zu weit weg, auch zu weit weg vom dortigen Bahnhof, keine Fahrer parat und so ließ ich mich abenteuerlustig auf das Trampen ein.
Eigentlich bin ich in sowas ja ganz schlecht, weil die Leute Angst haben vor einem dunklen Mann am Straßenrand. Einmal bin ich schon 4h vergebens an einer Autobahnauffahrt gestanden. Aber die Sachlage verlangte nach diesem Experiment.
Ich schrieb mir also ein Schild mit Edding und Signalfarbe auf einen Karton und stellte mich mit optischem Fokus (indiengelber Kontrast von T-Shirt zu oliver Jacke wie Hose) an DIE übliche Trampstelle Kronenbrücke samstags um halb 3.
Es war sehr laut. Hauptsächlich wegen der LKWs. Aber Kopfhörer hätten meiner Einschätzung nach eine negative Offenheit für den Anderen signalisiert.
Dann steht man so.
Die meisten, die vorbeifahren, schauen nicht her, sondern auf den Verkehr. Manche schauen her, excusiv, manche winken.
"Na' Lahri fahr i!"
Dann kam ein Fußgänger, mit kurzem Haar und leichten Schlitzaugen, hält mir verstohlen einen 5-Euro-Schein her und redet mich wie in freudiger Erwartung auf amerikanisch an. Ich frag ihn, was er denn will. "ja, weil ich doch einen Job suchte", und dabei zeigt er auf mein Schild mit dem Bestimmungsort LAHR. "Nö", sag' ich, "i'm lookin for a lift to 50km from here!" Und da entschuldigt er sich peinlich berührt, dreht sich um und war auch schon weg.
Was wollte der Mann? Mir hat schon mal ein Ami 10 Mark geboten, wenn ich ihm einen geblasen hätte.
Als schlechter Anhalter würde ich wohl jetzt Zeit genug haben, über diese Begegnung zu grübeln. An meinem Zustand, nicht mitgenommen zu werden, hätte das aber nichts verbessert. Ich kenne keinen Jargon, in dem "Lahr" verwerflich wäre, abgesehen davon konnte ich das Schild nicht ändern, ich musste genau nach Lahr. Außerdem: Denken macht alt.

Nach ca. 7min hielt das erste Auto an: So ein junger Gepflegter, Typ Referendar. Aber er fuhr nur nach Herbolzheim. Was nützt mir Herbolzheim! Was hält der überhaupt an? Zwar wäre ich dann weiter, aber der Metropol-Charakter Freiburgs erschien mir dennoch günstiger, dass da nette lahrer Fahrer vorbeikommen. Und wenn es garnicht hinhaut, dann konnte ich abends noch wo sicher mitfahren, nach Herbolzheim komme ich eh mit der Regiokarte. Ich blieb da.

Autos, Fahrradfahrer, Autos, dann Autos aus der anderen Richtung, ....
Ein Oldtimer! Das wäre es: In einem Oldtimer würde ich gerne mal mitfahren. Oder mit einem LKW! Aber die können an der Kronenbrücke nicht gut anhalten.
Da hält wieder einer an: EinE! Eigentlich ganz süß, nicht zu jung, locker mit Kippe, Platz im Auto war auch, aber sie führ nur bis Kenzingen. Kenzingen! Ja, wenn ich sonst nix zum tun hätte, aber die Party war halt in Lahr und ein Muss.
Musste sie weiterfahren - und ich blieb, aber auch nicht lange allein. Ein junger nordischer Typ mit Matrosenbart und einem Schild "Stuttgart oder Karlsruhe" kam dazu.
Ist der nun Freund oder Feind? Eigentlich ist es ja meine Richtung aber nicht so weit. Also würden Angehaltene, die nur einen mitnehmen, sinnhaftigerweise eher mich mitnehmen, als den. Also ließ ich ihn. Er hatte die Idee, weiter nach vorne in die Kreuzung zu gehen. Mir war da fengshuimäßig der Energiefluß zu heftig, aber jeder ist erfahrenerer Anhalter als ich. Man kanns ja mal probieren.
Bald hielt ein Auto, das zur nur ersten Autobahnraststätte fuhr. Ich wollte dort auch nicht lieber stehen wegen der Atmosphäre und kein Lahrer hält an der Raststätte, wenn er nachher eh nach Lahr reinfährt. Dar andere aber fuhr mit. War mir auch recht, störte er mich doch in meiner Meditation.
Und so stand ich da wieder allein. Wie ein Fels in der Brandung, angeglotzt wie eine Lorelei der B31, nur dass keiner anhielt.

Cool war mal: Ein Reisebus fuhr aus westlicher Richtung, wahrscheinlich Kronenstraße, auf die Kronenbrücke und darüber richtung Stadttheater, aber nicht weit. Dann hielt er, legte den anderen Gang ein und führ ganz langsam rückwärts gegen den Verkehrsfluß zurück auf die Kronenbrücke, als der Querverkehr aus dem Schwarzwald rot hatte. Er fuhr weit zurück auf der Kronenbrücke, schlug nach links ein, gerade auf mich zu, und fuhr dann doch auf die Autobahn, ohne bei mir anzuhalten. Aber krasses Manöver.

Unterhaltung hat man schon, wenn man da so steht.

Nach einer Stunde habe ich mir überlegt, könnte man eine Kippenpause machen. Aber wenn genau dann ein Anhaltswilliger käme, eine Zigarette ihm abschreckend Unmotiviertheit signalisieren könnte, dann hätte man mal lieber keine geraucht. Noch stand ich stabil.

Wie sehr müsste man leiden, dass der Wunsch, endlich mitgenommen zu werden, so intensiv würde, dass er auch vom Herzen käme und sich somit real manifestieren könnte?
Mal abwarten.

Ein junger Kerl fuhr vorbei, mit einem Passat freiburger Kennzeichen', Lenker rechts! Für den ist es nochmal blöder, anzuhalten, wenn ich aussen rumlaufen müsste auf die Fahrbahnmitte, um einzusteigen.

Kurz kam mal leichter Nieselregen auf, aber sonst blieb das Wetter gut.
Ein verwaschenes Schild und ich, nass, hätten mir vielleicht einen Mitleids-Bonus beschert. Aber lieber trocken und glücklich.

Dann fuhr der Gee vorbei, mit seiner Rastamütze in einem Kleintransporter allein. Mensch, der Gee! Warum nimmt er mich nicht mit? Wenn der dann dort ist, falls er da hinfährt, frag ich ihn, warum er mich nicht mitgenommen hat.
Naja, endlich kannte man mal jemand.

Bei meinen Sozialstudien der Vorbeifahrenden konnte ich eine Tendenz festellen zu dominanter Vererbung blonder Haare mütterlicherseits auf die weibliche Folgegeneration.

Nach einer Stunde tat der rechte Arm weh. Das Schild! Wenn ich es mit der linken Hand halte, ist es weiter weg von der Zielfahrspuhr, was sich auch psychologisch negativ auf potentielle Anhaltende auswirkt. Und etwas länger mit links zu halten, geht auch nicht, weil man es automatisch dann wieder mit rechts nimmt.
Auch könnte man ja jetzt eine Pause machen und sich mal hinsetzen, aber wohin?

Und da hielt wieder einer an. Der silbergraue Audi hatte dunkle Scheiben hinten, und vorne saßen 2 normale kurzhaarige Kaukasier. Und sie nahmen mich mit, obwohl hinten auch schon 2 von ihnen saßen. Aber nett.
Kurzer Small Talk, und dann haben sie sich weiter über Wirtschaft unterhalten. Es waren Gesellen einer Lahrer Industriefabrik, die samstäglich die Meisterschule in Freiburg besuchten.
Wenn man hinten im Audi zu dritt sitzt, hängt es die beiden Äußeren nach Innen. Das ist unangenehm und verkrümmt die Wirbelsäule. Aber als Anhalter gestanden sie mir nicht den guten Platz vorne rechts zu. Ist okay, als Anhalter bin ich Passagier zweiter Klasse.

Die herbstliche Ortenau büßt von ihrem Zauber ein, wenn mann sie durch getönte Scheiben sehen muß. Die Windschutzscheibe war klar, aber die Aussicht nicht so toll.
Gleich hinter der Autobahnabfahrt Lahr ist dann diese Tankstelle, von da an gings für mich noch 2-3 km geradeaus ins Gewerbegebiet. Ich hatte mir da für meinen Proviant eine Tasche mit Trolli-Funktion gewählt, aber meine Mitpassagiere stiegen eh alle beim Park&Ride gegenüber der Tanke aus, weil sie eine Fahrgemeinschaft waren und alle ihre Autos dort geparkt hatten, und der nette Fahrer fuhr mich noch bis hinter und wollte nicht mal ein Trinkgeld annehmen.

Fazit: Anhalten kann man, wenn man Zeit mitbringt
und: Lahrer sind nett. Noch zwei weitere Anhalter aus Freiburg wurden später auch bis hinter gefahren.

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