Samstag, 17. März 2012

Sonnenbrillen, mp3-Spieler und Headsettelefonie als Zivilisationskrücken der Stadtmenschen

Ich wohn in einer Stadt mit vielen anderen Menschen. Aber sie machen nicht mit.

Die Sonnenbrille:
Ich weiß nicht, ob die Sonne heute heller scheint als früher, aber mich stört es, die Gesichter meiner Mitmenschen nicht zu sehen. Um mit einem Mitmenschen in Kontakt zu treten wendet die Pädagogik den direkten Blick von Auge zu Aug an, der da einseitig willentlich unterbunden wird. Der Blick in die Augen verrät vielleicht den Gesundheits- und Gemütszustand, den die nicht verraten wollen, weil die selber nicht damit zufrieden sind. Anstatt daran was zu ändern, kann man eine Sonnenbrille aufsetzen.
Selbst wenn die Albedo der Stahlglasbetonwüste heutzutage stärker ist, als die des natürlichen menschlichen Lebensraums, so ist es dennoch unnötig, nach Sonnenuntergang mit diesen Brillen rumzulaufen, außer die Gesundheits- und Gemütszustände sind unerträglich für sich und/oder andere. Dein Status ist somit nicht "Sich-Gucci-oder-Prada-leisten-könner" sondern "Sich-mit-seinen-Problemen-nicht-auseinandersetzen" bzw "Ich-will-mit-anderen-nix-zu-tun-haben".

Der mp3-Spieler:
Neulich mit dem U. beim Grillen: Ich schür das Feuer an, er sitzt daneb'. Ich frag ihn was, er reagiert nicht. Hat er wieder seine heftige Trashmusik im Ohr, die ihm lieber ist. Das nächste Mal hab ich allein gegrillt und U. blieb hungrig und mit sich selbst.
Das Ohr ist ein ständiger Sensor für Signale in der Umwelt. In unserer Umgebung gibt es Signale, die wir als angenehm empfinden, wie das Zwitschern der Singvögel oder den Zuruf eines Freundes. Es gibt auch akustisches, das wir nicht so gerne hören, wie das laute temperamentvolle Geschnatter meiner südländischen Nachbaren, das mich heute aufgeweckt hat, oder das laszive Stöhnen der Ische meines anderen Nachbaren, welches mich gestern aufgeweckt hat, oder das Scheppern der Strassenbahnen, das Stimmengewirr einer viel zu dicht gedrängten Menschenmenge, Bauarbeiten oder Dubstep. Vielen dieser Signale kann man sich im Stadtleben nicht entziehen, sie aber überblenden mit der Lieblingsmusik. Am besten schottet man sich mit möglichst großen Kopfhörern von den anderen ab, damit diese auch sehen: "der will in seiner eigenen Welt bleiben". Ich mach das auch bei Bahnfahrten, manchmals, weil die Züge zu nervig scheppern und sich andere Passagiere laut unterhalten über was, das mich weder interessiert, noch betrifft, als seien sie allein auf der Welt.
Vorgestern nach dem Training hörte ich an der Straßenbahnhaltestelle schöne Junior-Delgado-Musik, um mir die gute Laune aufgrund der sportlich ausgeschütteten Endorphine nicht durch 12 Minuten Wartezeit im dunklen kalten Haslach zu verderben. Da setzt sich neben mich eine alte Oma und rockt mit Kopf, Händen und Beinen rhythmisch. Sie hatte keinen mp3-Player, sondern Parkinson wahrscheinlich. Kopfhörermusikhörer wie ich bewegen sich nicht.

Die Headset-Telefonie:
Auch laute Selbstgespräche sind eigentlich ein Zeichen eines neurologischen Schadens. Immer öfter begegnet man nun solchen Menschen, die sich scheinbar mit jemand unterhalten, obwohl niemand da ist. Sie haben einen Knopf im Ohr, womit sie sich, wie eben festgestellt, von der gegebenen Umwelt abschotten und sich in eine eigene Welt begeben, die nicht mehr durch Raum definiert ist. Eine modifizierte Form des Sozialen Aggregats. Der örtlich Anwesende spielt keine Rolle mehr. Zugleich sind die Headset-Telefonie-Nutzer schon dermaßen ihrer Umwelt entkoppelt, dass sie keine Empathie für die Mitmenschen ohne Knopf im Ohr aufbringen können, die ihr Gespräch weder betrifft, noch interessiert, geschweige denn sie daran teilnehmen lassen können würden/wollen. Somit stellen sie sich über ihre Mitmenschen, was historisch immer wieder zu Katastrophen geführt hat. Das Prangere ich an!
Das iPhone, womit sich mir meine Umweltteilnehmer oft mehrheitlich in die eigenen Umwelten entziehen, will ich gar nicht erwähnen. Wir haben die Grenze des dreidimensionalen Raumes überwunden, jedoch zu dem Preise, dass sich die Anzahl derer, mit denen wir sprechen reziprok reduziert. Das, wenn die Menschen nicht mehr miteinander reden können, heißt in der Bibel "Babylon".

Gestern hab ich den kleinen Hoscht-Kevin, genannt "Horke" getroffen; er ist neu in der Welt. Er hat noch keinen facebook-Account, noch keinen Kopfhörer und keine Sonnenbrille, und er hat geweint.
Ich will damit nur sagen, dass ich nicht weiß, ob ein Leben abhängig von der Elektronik der Großkonzerne besser ist, als das, wie Gott uns nach seinem Abbild schuf. Vielleicht ist es ja genau der Dimensionssprung den uns alte Prophezeiungen und neue Gurus für 2012 voraussagen. Wir sollten diese Entwicklung nur bewusst steuern, um zu überleben.


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